Sonntag, 18. September 2011

Was für ein Tag...

Warum bist du nur mitgefahren? Dieser Gedanke kreiste mir im Kopf, als ich ohne Ende frierend auf dem Boden einer kleinen, muffigen Kapelle saß und der Wind meine Kleidung in einen Kältemantel verwandelte.
So sah es in den Bergen aus
Aber damit ihr auch versteht wovon ich da schreibe, fange ich am besten am Anfang der Geschichte an. Der Kalender schrieb Donnerstag den 15.09.2011. Am Tag zuvor war ein Priester aus Vagamon, einem Ort hoch in den Bergen gelegen, verstorben und nun sollte die Beerdigung stattfinden. Alles ging so schnell vonstatten, da die Familie des Verstorbenen keine weite Anreise hatte und somit nicht gewartet werden musste.

Auch in der Ordensgemeinschaft wurde besprochen wer zu der Beerdigung fahren möchte und so wurde schließlich auch ich gefragt. Da mich hier so langsam die Langweile auffraß, sah ich sogar die Beerdigung eines Fremden als willkommene Abwechslung.
Unser Grabschmuck
Nach einem frühen Mittagessen ging es dann, in Jeanshose, Socken, feste Schuhe, Top, T-Shirt und Schal gekleidet und mit einem Regenschirm und zusätzlichem Pullover ausgerüstet, los. Ich hatte aus meinem letzten Ausflug in die Berge gelernt und mich dementsprechend vorbereitet. So gut, dass ich vor der Abreise noch ziemlich ins Schwitzen geriet. Einige Schwestern versuchten mich noch von meinem Vorhaben abzubringen und meinten, dass es für mich zu langweilig werden würde und ich doch eh schon Halsschmerzen hätte. Für einen kurzen Moment dachte ich darüber nach und verwarf den Gedanken kurzerhand (leider) wieder.

Mit 12 Frauen in einen Jeep gequetscht ging die Reise also los und kaum ging es bergauf, fing es auch schon an zu regnen. Aber kein Nieselregen, nein, vielmehr gab es einen Wolkenbruch, der nicht mehr aufhören wollte (auch Monsun genannt ;)). Auf der Fahrt wurde es mir schon ein wenig Angst und Bange, da die Schlaglöcher in der Straße mittlerweile randvoll mit Wasser waren und wir in Serpentinen, den Wassermassen ausweichend, langsam den Berg hinaufkrochen. Doch als wäre der Regen nicht genug, verdichtete sich auch noch der Nebel, sodass wir zwischenzeitlich Schwierigkeiten hatten entgegenkommende Fahrzeuge zu sehen. Die Fenster hatten wir während der Fahrt größtenteils geöffnet, da es anscheinend keine Lüftungsanlage gibt und sonst die Frontscheibe zu beschlagen droht. Dies hatte allerdings zur Folge, dass ich, die ich hinter dem Fahrer saß, regelmäßig mal mehr mal weniger große Tropfen abbekam. Es kamen erste Zweifel auf, ob das denn die richtige Entscheidung war mitzufahren.

So ging es lange Zeit immer weiter bergauf, bis auf einmal die Autokolonne vor uns stoppte und verschiedene Autos versuchten den Rückwärtsgang einzuschlagen. Ich fragte was denn los sei und man erklärte mir, dass ein Bus aus der anderen Richtung kommen würde und da die Straße, nach deutschem Maßstab, für ein Auto ausgebaut ist, nicht durchkäme. Zum Glück gab es genau an unserem Standort einen kleinen Parkplatz, sodass wir recht schnell ausweichen konnten.
Dieser Bus ist mit Schuld! 
Zu meiner Überraschung stiegen die Schwestern auf einmal aus und ich folgte ihnen ein wenig perplex. Wir schienen schließlich noch nicht am Ziel zu sein. Das waren wir auch nicht und wir hatten noch einen ca. 15 minütigen Fußmarsch vor uns. Bei schönem Wetter und Sonnenschein wäre das auch kein Problem gewesen. Bei Nebel und Wind, der einem den Regen nur so entgegen peitschte, war das etwas ganz anderes. Innerhalb von Sekunden war meine Hose vollgesogen mit Wasser und auch die Schuhe ließen zu meinem Leid den Regen, nach einigem Kampf mit dem Imprägnier-Spray, eindringen. Zum Glück hielt mein Regenschirm (an dieser Stelle ein großes Lob an Rossmann) den Böen stand und mein Oberkörper blieb somit relativ trocken.

Ziemlich durchnässt kamen wir also an dem Haus an, in dem die Totenfeier stattfand. Ich weiß nicht genau was das für eine Art Haus war, auf jeden Fall drängelten sich dort bestimmt an die hundert bis zweihundert Besucher hinein. Zum Glück erlaubte mir eine Schwester meine Schuhe anzubehalten, denn es wäre mir erstens sehr unangenehm gewesen sie draußen im Schlamm stehen zu lassen und zweitens mit nassen Socken durch das Haus zu marschieren. (Hier in Indien ist es üblich vor Eintritt in Kirchen oder auch Privathäusern die Schuhe auszuziehen) Wir schoben uns also durch die Massen zu dem Raum, in dem der Sarg mit dem Leichnam des Verstorben aufgestellt war. Da dies bereits der zweite Tote in zwei Wochen war, fühlte es sich schon fast wie Gewohnheit an, die Leiche, die einer Wachspuppe ähnelte, anzuschauen. Wieder fragte ich mich, wie sie wohl die Hände nach dem Ableben gefaltet bekommen und vor allem auch noch einen Kelch festhaltend. Aber diesem Gedankengang wollen wir lieber nicht weiter nachgehen.
Der Leichnam wird durch den Raum getragen
Ich fühlte mich in meinen nassen Sachen und dem Gedränge sehr unwohl, sodass ich mich in eine kleine Seitenkapelle führen lies. Dort setzte ich mich auf den Boden und lies mich von einem Priester und zwei Ordensschwestern betrachten, die sich wahrscheinlich (zurecht) fragten was ich dort eigentlich mache. Ich starrte ein wenig vor mich hin und versuchte meine Kleidung provisorisch trocken zu reiben. Nichts half und da ich noch die Stimme meiner Mutter in den Ohren hatte, dass nasse Füße die Erkältung fördern, zog ich kurzerhand meine Schuhe aus. Für kurze Zeit machte ich auch Anstalten die Socken zu entfernen, als mir auf einmal ein seltsamer Wurm entgegen fiel. Ich wusste sofort, dass es sich nicht um einen normalen Wurm handelte, sondern um einen Blutegel!! Schließlich hatten mich schon einige Schwestern vor ihnen gewarnt, da es in den Bergen wohl sehr viele von ihnen gibt.
Ein Blutegel!!
Ekel und Panik machten sich in mir breit. Hatte mich das Ekelvieh schon gebissen? Ich stupste schnell eine Schwester an und machte sie auf den ungebetenen Gast aufmerksam. Sie nahm einen meiner Schuhe und schlug auf ihn ein. Ich setzte mich schnell auf einen Stuhl, der in sicherer Entfernung stand. Von nun an begann die Blutegel-Observation. Im ersten Moment hielt ich ihn für tot, doch hatte die kleine Bestie anscheinend nur so getan. Kurze Zeit später streckte sie sich schon wieder nach dem nächsten Opfer aus. Ich konnte meine Augen nicht von dem Tier lassen und dann war es soweit. Ein neues Opfer betrat den Raum und näherte sich der Bestie ahnungslos. Schnell versuchte ich die Frau auf das Tier aufmerksam zu machen und in letzter Sekunde, der Blutegel war wirklich einen halben Zentimeter von ihrem großen Zeh entfernt, wurde der Zugriff verhindert. Mit einem Taschentuch wurde dem Grauen ein Ende bereitet und der Blutsauger entfernt.
Bilder in der Kapelle
Warum bist du nur mitgefahren? Ich wusste zwar den Grund noch, aber ich bereute es doch sehr. Kennt ihr das wenn Leute von Läusen erzählen und es juckt einem dann der Kopf? So ähnlich war es bei mir und dem Blutegel. Kaum hatte ich den einen gesichtet, hatte ich Angst, dass sich schon weitere an meinem Bein festgesaugt haben. Während ich mit mir und meinen Ängsten vor Blutverlust und Erkältung beschäftigt war, ging die Zeremonie der Beerdigung weiter. Als der Leichnam dann schließlich durch den Raum getragen wurde, wurde ich dazu geholt und ich verwendete die Kamera, die ich mir ausgeliehen hatte, als Monitor um auch etwas sehen zu können. Einer kleineren Frau, die neben mir stand, schien dies auch zu gefallen.

Nach noch ein wenig hin und her tragen und verschließen des Sarges brach wieder Hektik unter den Leuten aus. Ich hatte ja schon in einem früheren Bericht erwähnt, dass die Inder die größten Drängler der Menschheit sind und auch diesmal machten sie ihrem Titel alle Ehre. Kaum war die Masse einmal in Gang gekommen versuchten sich die ersten wieder vorbei zu schieben oder drückten sich mit aller Kraft von hinten gegen einen, obwohl nach vorne hin auch kein Platz war. Ich werde das glaube ich nie nachvollziehen können...
im Hintergrund der Sarg, im Vordergrund der Bischof 
Zum Abschluss ging es wieder nach draußen. Schließlich gehört zu einer Beerdigung in der Regel auch, dass man den Sarg zu Grabe lässt. Kurze Zeit hatte ich Hoffnung, dass der Regen nachgelassen hätte. Doch als wir uns dann auf den Weg zum Friedhof machten, ging der Schauer von Neuem los und diesmal mit noch einer extra Brise Sturm. Über dem Friedhof war zum Glück eine Plane angebracht worden, sodass man nicht ganz so nass wurde. Nur hatte ich bei jedem Windstoß erneut Angst, dass die etwas wackelig wirkende Konstruktion zusammenbrechen könnte.
Der Sarg wird zum Friedhof getragen
Es wurden wieder einige Gebete gesprochen, ich gehe mal davon aus, dass es sich um Gebete handelte, schließlich habe ich mal wieder kein Wort verstanden. Anschließend gingen wir zum Glück nicht mehr wie alle anderen zum Grab um noch ein paar Blumen hinein zu werfen. Stattdessen spannten wir erneut unsere Schirme auf und kämpften uns durch den Regen. Auf dem Rückweg achtete ich akribisch darauf nicht länger als zwei Sekunden auf einem Fleck stehen zu bleiben. Der eine Blutegel hatte mir schließlich schon mehr als gereicht.

Auf dem Rückweg war ich sehr froh über meine festen Schuhe, da ich so um einiges schneller laufen konnte als alle anderen und ich wich mutig den verschiedenen Autos aus, die bereits den Heimweg angetreten hatten. Wie sehr ich mir in diesem Moment wünschte, dass eines von ihnen das unsere wäre. Ihr könnt euch nicht vorstellen wie froh ich war, als ich dann endlich, jetzt auch von hinten durchnässt, im Auto saß!!
Zurück im Auto
Zwischenzeitlich hatte ich schon die Befürchtung, dass wir eventuell gar nicht nach Hause fahren könnten, da die Straßen zu überschwemmt sind oder ähnliches. Aber zum Glück fuhren wir nach einiger Wartezeit wieder Richtung Krankenhaus, um nach kurzer Strecke erneut anzuhalten. Wir hatten einen blinden Passagier an Bord. Vor mir am Sitz hatte sich nämlich einer der kleinen Blutsauger versteckt, welcher glücklicherweise von mit entdeckt und von der Schwester neben mir aus dem Fahrzeug befördert wurde.

Die weitere Fahrt verlief ohne Probleme und auch, als ich dann später voller Angst meine Hose und Socken auszog, fand ich zu meiner Freude keinen ungebetenen Besucher an meinen Beinen vor! Ich lerne aus dem Tag, dass ich nächstes Mal doch etwas länger überlege, ob ich wirklich bei allem dabei sein möchte oder mich nicht doch in solchen Fällen lieber der Langeweile hingebe.

Wie sagt man so schön: Nach Regen folgt Sonnenschein! Und so war es dann auch! Heute war der erste Tag an dem es keinen einzigen Tropfen geregnet hat! :)

Bis zum nächsten Mal!

Eure പ്രിയ 

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